Willkommen in der Rubrik der Stilblüten. Freut euch auf Linda, unsere Personalerin, die hier viele spannende. teils amüsante, teils aber auch zum Nachdenken anregende Geschichten aus dem Personalerleben erzählen wird. Die Geschichten stammen sowohl aus eigenen Erfahrungen, aber auch aus vielen Gesprächen mit Kollegen und Kolleginnen aus meiner Netzwerk und Coachingzeit. Freut euch auf die gesammelten Werke von knapp 15 Jahren an Memoiren.
Ein unmerklicher Moment des Innehaltens: Vor mir liegt der Lebenslauf von Harald Kleinert, den ich noch einmal kurz überfliege, bevor ich ihn am Empfang abhole und in den Meetingraum zu Herrn Wonnekin bringe, unserem Leiter für die Elektro- und Softwareentwicklung. Die Firma, bei der ich derzeit als Interims-Personalleiterin tätig bin, sucht seit Wochen einen Softwareingenieur mit umfassenden Kenntnissen in Rockwell-Steuerungen. Mein Blick fällt auf die Zeilen, die vielversprechend wirken und mir das Gefühl geben, dass dieser Kandidat der Gesuchte sein könnte. Mit 32 Jahren hat er nach seinem Studienabschluss eine beachtliche Karriere in seinem aktuellen Unternehmen hingelegt. Neugier und Vorfreude durchströmen mich, während ich darüber nachdenke, warum er seine Stelle aufgeben möchte. Ich kenne die Firma gut; sie zählt zu den Top-Arbeitgebern der Stadt.
Als ich Herrn Kleinert am Empfang begrüße, stelle ich mich kurz vor und führe ihn dann in den Meetingraum. „Möchten Sie etwas trinken? Wasser vielleicht?“, frage ich höflich, doch er verneint.
Ich beginne das Gespräch mit einer kurzen Vorstellungsrunde. „Ich bin Linda Kajun, hier im Unternehmen als Interims-Personalleiterin tätig. Aufgrund eines längeren, gesundheitsbedingten Ausfalls vertrete ich unseren Personalchef, Steffen Korn. Hauptberuflich arbeite ich als Beraterin für Personalabteilungen und bringe Erfahrungen aus verschiedenen Führungsebenen mit. Diese Perspektiven helfen mir, die Bedürfnisse der Zielgruppen besser zu verstehen und fundierte Entscheidungen zu treffen. Mein Bestreben ist es, Menschen und Unternehmen auf ihrem Weg zu begleiten und sie bei der Entwicklung nachhaltigen Erfolgs zu unterstützen. Ich interessiere mich sowohl für Einzelpersonen als auch für das Zusammenspiel von Menschen mit ihren Gruppen.“
Als ich über die letzten zwei Jahre bei LuB Technologies spreche, spüre ich förmlich den Wandel, den ich mit einem engagierten Trainerteam begleiten durfte. „Aktuell bilde ich interne Coaches aus. Und damit übergebe ich das Wort an Herrn Wonnekin.“
Meine Augen treffen auf den erfahrenen Leiter, der seit über 20 Jahren im Unternehmen ist und die Elektrische Entwicklung ins Leben gerufen hat. Er führt mittlerweile über 60 Mitarbeiter in unterschiedlichen Teams und sucht Verstärkung für das Software-Team, das sich um Anlagensteuerungen kümmert.
„Herr Kleinert“, beginnt er, „bevor wir zu den Fachthemen übergehen, würde ich gerne wissen, warum Sie Ihren aktuellen Arbeitgeber verlassen möchten und was Sie zu uns führt.“
Ich beobachte gespannt, wie der Bewerber sich in seinem Stuhl zurücklehnt, uns beide mustert und dann sagt: „Naja, aktuell stagniert mein Gehalt und mein Weiterkommen, und ich will jetzt einfach mal meinen Marktwert testen. Entweder mein Arbeitgeber kommt mir dann entgegen, oder ich bin weg.“
Ein verstörendes Schweigen breitet sich im Raum aus. Herr Wonnekin und ich sehen uns an. Hat er das wirklich gesagt? Doch bevor ich eine Antwort formulieren kann, unterbricht mein Kollege den Bewerber abrupt. „Herr Kleinert – das Gespräch ist hiermit beendet. Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag.“ Mit diesen Worten steht er auf und verlässt den Raum.
Verwirrt schaut der Bewerber mich an. „Was soll das denn?“
Ich antworte ihm mit Ernst: „Wir suchen Mitarbeitende, die zu uns kommen wollen, weil sie unsere Technologie voranbringen möchten – Menschen, die sich für unsere Produkte begeistern und ein Teil des Teams sein wollen, das unsere Anlagen erfolgreich am Markt positioniert. Wir benötigen niemanden, der nur seinen Marktwert testen möchte. Es tut mir leid, aber damit haben Sie sich ins Aus manövriert.“
Sein Blick verrät Verwunderung, als würde er mir nicht ganz glauben wollen. Doch die Worte bleiben ungesagt und schweben in der Luft. Wortlos nimmt er seine Jacke und ich begleite ihn hinaus.
Ein tiefes Durchatmen; was für ein Interview! Das war zweifellos das kürzeste Vorstellungsgespräch meiner Karriere – ganze drei Minuten. Unglaublich.
Als ich in mein Büro zurückkehre, wartet mein Kollege bereits auf mich, immer noch außer sich vor Ärger. Er beginnt, über die Arbeitsmoral der jüngeren Generation zu schimpfen. Geduldig höre ich ihm zu und stelle ihm einen Kaffee mit Keksen bereit, bevor ich mich hinsetze. Ich bitte ihn, sich nicht länger zu ärgern. Es ist doch letztlich gut, dass wir schnell herausfanden, was seine Motive sind und keine weitere Zeit mit ihm verschwendet haben. Wir haben schließlich noch zwei weitere aussichtsreiche Kandidaten, auf diese sollten wir uns fokussieren und Herrn Kleinert geedanklich hinter uns lassen.
Nach einem kurzen Atemzug merkt er an: „Sie haben wahrscheinlich recht. Geben wir ihm keinen Raum mehr in unseren Gedanken.“
Mit einem Lächeln antworte ich: „So ist es.“
Habt ihr auch schon spannende Interviews geführt? Ich darf an dieser Stelle verraten, dass es nicht das letzte Bewerberinterview sein wird. Was ich persönlich mit Sorge betrachte, ist die zunehmende Anzahl an Interviews, in denen man das Gefühl hat, dass nur abgeklopft wird, welche Leistungen und Vergütung es gibt, ohne sich mit dem eigentlichen Job auseinanderzusetzen.
Ich freue mich auf eure Kommentare.
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